„So meine Liebe. Dann möchte ich Sie im Namen der Belegschaft „Herzlich Willkommen“ heißen, Frau Gramisch. Lisa Gramisch schaute der etwas älteren Dame ins Gesicht und erkannte ohne Zweifel, die Falschheit, der Heimleiterin, deren überfreundliche Begrüßung alles andere als von Herzen kam. Warum musste Ihr Sohn sie ausgerechnet in dieses schäbige Altenheim bringen. Sicher, sie war nicht mehr beweglich genug und zweitweise auf den Rollstuhl angewiesen, aber warum dieses Heim und nicht eins der etwas Luxuriöseren. Wie versicherte ihr Sohn Konrad noch: „Mami mach dir mal keine Sorgen, das wird sehr schön dort und vor allem ich bin ganz in deiner Nähe und komme dich oft besuchen.“
Das Abstellgleis
Nun gut, dachte Lisa und ergab sich ihrem Schicksal. Die 60zig-jährige Heimleiterin Cora Schumann schob die alte Dame vor sich hin. Ihr bis dahin breites Lächeln war verschwunden. Die Anspannung war ihr ins Gesicht geschrieben. Die Verantwortung dieses Heim zu leiten zehrte an ihren Kräften. „So Frau Gramisch, da wären wir!“ Cora hielt vor dem Zimmer, indem Lisa Gramisch ab sofort leben sollte. Der Raum ist viel zu klein, dachte Lisa, und die Enttäuschung in ihr wurde tiefer. Sie lebte bis dahin in einer riesigen Villa mit mehreren Zimmern, einem großen Kaminzimmer, Wirlpool, Schwimmbad und einen herrlichen Garten. Nun soll sie in diese Kammer eingesperrt werden? Verdammt, warum ist ihr das mit dem Sturz von der Treppe passiert. Seit der Hüftoperation, die daraufhin folgte, war es mit dem Gehen Essig. Es gelang ihr nur noch mit hohem Krafteinsatz und großen Schmerzen wenige Schritte zu laufen. Konrad hatte ihr jedoch einige ihrer Lieblingsmöbelstücke in die Kammer gebracht, damit sie sich wenigstens etwas heimisch fühlte. Nur das Bett war neu und hatte alle Vorzüge eines Krankenlagers, damit es die Pfleger leichter hatten.
„Da schaun sie nur, ihr Sohn hat sogar frische Blumen auf den Tisch gestellt und …“ Cora ging zur Kommode und öffnete die mittlere Schublade, „ sehen sie hier, ihre Handarbeitssachen.“ Lisa blickte Cora fragend an. „Was soll ich mit Handarbeitssachen, ich hasse häkeln und stricken.“
„Oh, ihr Sohn sagte mir, sie würden es lieben.“
Lisa verschlug es die Sprache. Was hatte sich Konrad nur dabei gedacht, nicht sie war die Handarbeitswütige, sondern die Haushälterin Marga. Sie strickte und häkelte in ihrer Freizeit wie eine Irre. Klar, dass sie die vielen Deckchen, Schals und Westen auch verschenkte. Nun blickte Lisa durch den Raum und sah jede Menge der bunten und teils hässlichen gehäkelten Decken rumliegen. Und wieder brach eine trübe Enttäuschung über Lisa herein. Sie hätte heulen können. Stattdessen rollte sie in die Mitte des Raumes und bedankte sich bei Cora. „Sie können gehen, danke!“
Paul
Am Abend wurde Lisa dann zum Essen in den großen Speisesaal geschoben. Der Pfleger war ein ganz lieber. „Guten Abend Frau Gramisch, darf ich sie mit ihrem wunderschönen Porsche zum Abendessen begleiten. Ich liebe Damen mit Geschmack für tolle Fahrzeuge“, grinste Paul und deutete verschmitzt auf den Rollstuhl. Wenigstens ein Lichtblick, dachte Lisa und lächelte Paul an.
Auf dem Weg durch die großen Flures des alten Gemäuers kam sie an viele weitere „Kammern“ vorbei bis zum Aufzug neben einer breiten Treppe, wie sie so üblich war in alten Schlössern. Der Aufzug brachte die beiden dann eine Etage tiefer in die Aula, dort wurden die Heimbewohner verköstigt. Besser noch mit „würgevollem“ Kantinenfraß beschmissen, wie Lisa später feststellen musste. Viele der Heimbewohner saßen resigniert am Tisch. Die Küchenhilfen und Pfleger bedienten die Gäste zumeist unfreundlich und unsanft. Cora gesellte sich kurz zu Lisa und begann eine Unterhaltung: „Na, Frau Gramisch, schon etwas eingelebt? Haben Sie von ihrem Fenster aus den wunderschönen Garten gesehen? Ihr Sohn hat extra darauf bestanden ein Zimmer mit schönem Ausblick zu bekommen.“
„Das werde ich wohl erst im Frühling sehen können, jetzt kurz vor dem Wintereinbruch ist nicht mal mehr buntes Laub an den Bäumen und Büsche, da kann ich das nicht beurteilen“, bemerkte Lisa wehmütig. „Wissen Sie was, Frau Gramisch, sie haben einen Wunsch frei. Wünschen Sie sich was sie wollen,“ sagte Cora, in der Hoffnung die alte Dame von ihren trüben Gedanken abzulenken.
„Viele Wünsche“, antwortete Lisa zu Coras Überraschung.
„Wie meinen?“
„Ich wünsche mir viele Wünsche, die ich nach einander erfüllt haben möchte“, erklärte Lisa.
„… und welches wäre dann ihr erster Wunsch?“
„Ein größeres Zimmer.“ Lisa blickte provozierend zu Cora.
„Wir haben hier keine größeren Zimmer. Sie haben hier doch alles was sie brauchen. Sie können das ganze Schloss nutzen, an den Veranstaltungen teilnehmen, wie basteln, Handarbeitskurse, Gymnastik, wir haben soviel im Angebot.“ Cora wünschte sich in diesem Augenblick, sich nicht zu Lisa gesellt zu haben. Die Dame scheint ein Problem zu werden.
„Dann möchte ich wenigsten ein besseres Essen. Das hier ist für den Müllschlucker, so ekelhaft schmeckt es“, bemerkte Lisa beinahe trotzig wie ein kleines Kind.
„Wir bekommen das Essen von einer Großküche. Leider ist es uns aus finanzieller Sicht nicht möglich Köche und weiteres Personal einzustellen und eine entsprechende Küche einbauen zu lassen“, erklärte Cora und hoffte Lisa würde sich damit zufrieden geben.
Lisa merkte schnell, Cora wollte gar keine Wünsche erfüllen, sondern einfach nur etwas Smalltalk betreiben und schnellst möglich wieder zur Tagesordnung übergehen.
Du machst mir das Leben schwer
Am nächsten Tag kam Konrad zu Besuch. Lisa freute sich, ihren Sohn wieder zu sehen. Doch als Konrad vor ihr stand mit diesem vielsagendem Ausdruck in seinem Gesicht, wusste Lisa, Cora hatte gepetzt. „Mama, du machst mir das Leben schwer, wenn du nicht glücklich bist. Es ist doch schön hier“, waren seine ersten Worte.
„Junge, ich werde hier nicht bleiben, das habe ich nicht verdient. Ich werde meine Villa verkaufen und mir ein besseres Heim suchen“, bestimmte Lisa.
Konrad wurde schwarz vor Augen. Er brauchte Geld und hatte die Villa bereits verkauft. Die Vollmachten dazu bekam er direkt nach dem Tod von Alfred, dem zweiten Mann von Lisa. Sie war so tief in Trauer, dass ihr es nicht möglich war, sich um die Finanzen von Alfred zu kümmern. So gab sie alle Vollmachten ihrem Sohn, damit er sich kümmerte.
„Mama, weißt du eigentlich wie schwer es ist einen Heimplatz zu bekommen?“
Er war der Meinung, die alte Dame wäre mit der Rente zufrieden, die sie von ihrem verstorbenen Mann bekam. Für ein besseres Heim würde das Geld jedoch nicht reichen, denn die Lebensversicherung von damals hatte er ebenfalls schon verjubelt. Seine Mutter glaubte immer an seinen Erfolg und gab ihr ganzes Vermögen dem Sohn. Der hatte jedoch nichts besseres zu tun, als das Geld in dubiose Investments zu stecken und sinnlos zu verprassen. Von all dem wusste Lisa jedoch nichts und sollte es auch nie erfahren.
Das neue Hobby
Lisa verstummte immer mehr. Konrad ließ sich kaum noch blicken, die Heimleiterin ging ihr aus dem Weg, nur Paul der Pfleger, der war immer nett zu ihr. Lisa holte die hellbeige Wolle und eine Nadel aus der Kommode. Sie wollte nun auch mal versuchen zu häkeln. Die Langeweile in diesem Heim würde sie noch umbringen. Die Veranstaltungen, die immer am schwarzen Brett angepriesen wurden fielen meist aus, wegen Mangel an Teilnehmern. Die Heimbewohner wurden wenig bis gar nicht animiert etwas zu unternehmen. Man befand sich auf dem Abstellgleis, versteckt, vergessen mit dem Gefühl behaftet sich nie beschweren zu dürfen, weil es dann nur noch schlimmer werden kann. Alle Briefe, die im „Kummerkasten“ landeten, wurden zwar bei Cora vorgelegt, doch diese hatte nichts besseres zu tun, als ihren Mülleimer damit vollzustopfen. „Die sollen froh sein, dass sie was zu Essen bekommen, ein Dach über dem Kopf haben und ein Bett“, fauchte sie und schob die vielen Beschwerden vom Tisch.
Während Lisa anfing mit Hilfe eines Strickmagazins, die Grundbegriffe des Häkelns zu erlernen, dachte sie an früher, an Alfred. Während die Häkelkette immer länger wurde, reifte ein Plan in ihrem Kopf. Warum nicht, dachte sie und hörte erst mit Häkeln auf, als Paul kam, um sie zum Abendessen zu begleiten. Heute war Heilig Abend und es sollte eine kleine Feier stattfinden. „Holla, staunte er, als er diese lange Häkelkette zusammengerollt auf dem Boden erkannte.“ Er bückte sich und zog an einem Ende. „Na sie machen ja mächtig Fortschritte, das ist schon ganz nett für den Anfang, was soll das denn werden?“, fragte er und grinste belustigt. „Ach, ich übe doch noch, ich weiß nicht so recht“, sagte Lisa und legte die Wolle zur Seite. Paul schob wie gewohnt Lisa zum Abendessen. Der Flur war mystisch und lag im Halbdunkeln. Die Heimleitung wollte Energie sparen. Cora erklärte den Bewohnern, dass es um die Weihnachtszeit ohnehin schöner ist, wenn nicht alles so hell erstrahlt. Im Halbdunkeln, ist alles viel besinnlicher. Dafür stellte sie einen hässlichen Plastiktannenbaum im Speisesaal auf, geschmückt mit ebenfalls hässlichen Papiersternen aus den vergangenen Jahren und genauso spärlich beleuchtet. „Warten Sie einen Moment, ich möchte mal von oben schauen, wie der Saal ausschaut, mit dem Weihnachtsbaum“, verlangte Lisa und Paul blieb an der Treppe stehen, damit Lisa durch das verschnörkelte Geländer schauen konnte. „Oh, das ist schön“, log sie und Paul grinste wieder. Auch er war davon nicht sonderlich beeindruckt, aber er hatte ja nichts zu sagen hier. „Paul, wenn ich was zu sagen hätte hier, dann würden sie die Heimleitung übernehmen“, begann Lisa, „sie geben sich Mühe bei allem was sie tun und sind mein einziger Lichtblick.“
„Ja, bei mir würde sich einiges ändern, aber leider geht Cora noch nicht in Rente, das dauert noch eine Weile, sonst würde ich gerne die Heimleitung übernehmen“, antwortete er und schob Lisa zum Aufzug.
Weihnachten
Beinahe alle Heimbewohner befanden sich im Speisesaal. Es tönte leise Weihnachtsmusik im Hintergrund von einem Band. Die Tür zu Küche ging auf und das Personal brachte die Speisen herein. Im halbdunkeln, konnte man nicht so recht erkennen, was es gab, aber es roch wie immer, deshalb schien es auch heute am Heiligen Abend nichts besonderes zu geben. „Sie hat ja nicht mal eine Überraschung für uns“, beschwerte sich Frau Gabel, die am gleich Tisch wie Lisa saß. Just in diesem Augenblick ertönte ein lauter Schrei. Nach einem lauten Krachen und gepolter, lag mit einem mal eine Frau bäuchlings am unteren Treppenaufgang. Es herrschte absolute Stille, als würden alle die Luft anhalten. Paul war der erste, der zum Unfallopfer sprang. „Hallo!“, er rüttelte seicht an der Schulter der Person und drehte den Kopf zu Seite. „Frau Schumann!“, rief Paul erstaunt. Doch Cora reagierte nicht. Nur wenige Minuten später, wurde Cora Schumann in ein Krankenhaus eingeliefert.
Gleichzeitig traf die Polizei ein.
Der Tumult legte sich und alle Heimbewohner durfte nach einer Weile zurück auf ihre Zimmer. Als Lisa in ihr Zimmer kam, wurde sie bereits erwartet: „Guten Tag Frau Gramisch. Kommissar Lotz, wir haben einige Fragen an sie.“
„Ja, gerne, um was geht es denn?“
„Wir haben Paul Sams vorläufig festgenommen, wegen des dringenden Tatverdachts des versuchten Mordes an Frau Schumann. Es ist bekannt, dass er die Stelle von Frau Schumann haben will. Wir gehen davon aus, das er nachgeholfen hat.“
„Aber nicht doch, Paul ist der nettes Mensch den ich kenne, das würde er nicht tun, geschweige denn überhaupt darüber nachdenken“, empörte sich Lisa
Frau Schumann geht es den Umständen entsprechend, sie war vor der Abfahrt ins Krankenhaus kurz bei Bewusstsein und nannte Pauls Namen. Deshalb gingen wir davon aus, dass er am Unfall beteiligt war“, erklärte Lotz weiter.
„Paul war der erste der ihr helfen wollte und die Polizei rief“, erwiderte Lisa erbost und fragte weiter. „Wird Frau Schumann den wieder gesund?“
„Cora Schumann hat eine Wirbelsäulenverletzung erlitten und wird nie wieder laufen können, soweit die Ärzte das bislang beurteilen konnten, geschweige denn ihren Beruf weiter ausüben“, bemerkte Lotz und atmete tief ein, zum Zeichen seiner Besorgnis.
Lisa war wenig überrascht, blickte jedoch betroffen zu Kommissar Lotz. „Ach, das ist sehr traurig, dabei war sie eine so nette Heimleiterin. Aber warum haben sie Paul verhaftet?“
„Wir haben im Flur eine Häkelkette gefunden, die von ihrem Zimmer aus gespannt, sich an den Schnörkeln der Treppe verhakt hatte und dann mit dem Aufzug nach unten gezogen wurde. Dabei hat sich die Wolle so gespannt, dass sie wie eine Falle wirkte. Im halbdunkeln, hatte Frau Schumann die Wolle, die zudem auch noch in beige war, wie der Boden, nicht gesehen, ist drüber gestolpert und dann die Treppe heruntergestürzt.“
„Ja, aber was hat der Paul damit zu tun, es ist doch meine Wolle gewesen?“
„Genau, das hat uns Paul auch gesagt. Er hat sie doch vorhin zum Essen nach unten gebracht.“
„Ja, so wie immer.“
„Wir wollen nur nachforschen, wie es möglich war, dass sich diese lang gehäkelte Schnur mit dem Wollknäuel am Ende derart durch das Haus spannen konnte, deshalb sind wir hier. Dürfen wir uns einwenig umsehen?“
„Aber gerne“, sagte Lisa freundlich und rollte etwas zur Seite. „Ich habe erst vor kurzer Zeit mit Häkeln begonnen, ich habe den Dreh noch nicht raus. Es ist diese lange Wurst entstanden“, erläuterte Lisa.
Kommissar Lotz fand auch gleich ein Wollknäuel in der gleichen Farbe auf der Kommode liegen. Dann betrachtete er den Rollstuhl von Lisa. „Ah, da sieht man es noch. Hier an der Hinterachse des Rollstuhls, ist noch ein Stück Wolle. Tja, dann sind sie wohl der Verursacher und nicht Paul.“
„Oh!“, ruft Lisa erstaunt, „komme ich jetzt ins Gefängnis?“
„Aber nein, nicht doch, das sieht eher nach einem Unfall aus. Oder haben sie am Ende die Wolle absichtlich gespannt?“, fragte Kommissar Lotz und lachte dabei laut auf.
Wer weiß, dachte Lisa und spielte weiterhin tiefe Betroffenheit.
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