„Ja, ich weiß Bescheid, Oma!“, rief ich der betagten Dame hinterher. „Der Opa wird sich bei mir wohlfühlen, ich passe auf ihn auf. Mach dir mal keine Sorgen.“ Meine Oma war gerade auf dem Weg zur Kur. Das hatte sie sich lange schon verdient. Es war nicht einfach mit dem demenzkranken Partner zu leben. Auch wenn der Arbeiter Samariter Bund, kurz ASB, dreimal am Tag hier erschien und den alten Fritz versorgte. Ich hatte Ferien und so auch Zeit, mich in den anderen Stunden, um ihn zu kümmern. Mein Vater sagte mir, es sei meine Pflicht etwas für die alten Herrschaften zu tun, schließlich bekäme ich ja auch regelmäßig ein Taschengeld von ihnen. Gut, stimmt, aber was soll ich mit 20 Euro im Monat schon groß anfangen? Ich war 16 und wollte ins Kino, mit meinen Freundinnen shoppen und nicht immer nur in den blöden Sachen vom Discounter, die meine Mutter mir kaufte, rumlaufen.
Taschengeld aufbessern
Ich winkte meiner Oma hinterher und überlegte, wie ich mein Taschengeld aufbessern könnte. Opa würde sich nicht mehr daran erinnern, wenn ich ihm ein Scheinchen aus der Geldbörse entnehmen würde, dachte ich.
„Muckelchen!“, tönte es vom Wohnzimmer aus.
„Gleich, Opa, ich komme schon.“
„Wo ist mein Muckelchen?“ Großvater schaute mich betroffen an.
„Oma ist in Kur, Opa. Aber sie kommt bald wieder“, antwortete ich ihm. Der alte Fritz würde meine Aussage ohnehin bald wieder vergessen haben. Es war also egal, was ich ihm sagte. Er hatte bislang sein komplettes Zeitgefühl verloren. Er verlangte nach Essen, wenn der Frühstückstisch gerade abgedeckt war und musste auf Toilette, wenn er gerade in die Windel gepullert hatte. Oma sagte mir, er wäre auf dem geistigen Stand eines zweijährigen Kindes gelandet. Manchmal scherzte sie auch über seine oft irrsinnigen Dinge, die er tat. Oma war eine lustige Frau und fand, die Krankheit sei besser zu ertragen, wenn man sie in Humor fasst. Der alte Fritz würde das eh wieder vergessen. Manchmal lachte er auch mit, auch ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Neulich erst hatte er seine Briefmarkensammlung ausgepackt, die tollen und teils wertvollen Marken in Wasser getaucht und auf leere Briefumschläge geklebt. Einmal kam er mit dem Gebiss in der Hand auf Oma zu und fragte, was er denn damit machen solle. Oma war geduldig und lachte meist über solche Situationen.
Das Fotoalbum
Opa stand im Wohnzimmer vor der Vitrine. Ich brachte ihm gerade einen Tee, als er sich umdrehte und ein altes Fotoalbum in den Händen hielt.
„Na Opa, möchtest du die Bilder aus alten Zeiten betrachten?“ Oma sagte immer, das könne er noch am Besten. An manchen, guten Tagen, erinnerte er sich an seine jungen und wilden Tage, als sei es erst gestern gewesen.
Opa Fritz setzte sich in seinen großen Lehnstuhl und fing an in dem dicken Fotoalbum zu blättern. Ich überlegte ob es jetzt schon an der Zeit sei, mal nach dem Rechten in der Küche zu schauen und einige Schubladen zu durchstöbern, in der Hoffnung, dass ich Wertsachen oder Geld fand, woran sich der alte Herr und vor allem meine Oma nicht mehr erinnern würden. Doch es kam anders, und wenn ich ehrlich bin, war mir nicht wohl bei der Sache, meinen eigenen Großvater zu bestehlen. Opa rief mich zu sich: „Komm, du ….“, er suchte wie immer meinen Namen. „Pia“, half ich ihm. „Ich bin die Pia, deine Enkelin.“
„Ja, du, du, … setz dich Gerda. Ich zeig dir was.“ Opa zeigte auf den Schemel neben sich. Ich gehorchte und war dankbar für seine Eingebung, denn ich hörte ihm gerne zu, wenn er von früher erzählte, auch wenn ich nicht Gerda war.
„Wer ist Gerda, Opa?“, fragte ich ihn und wollte wissen, ob er weiß, wer das ist.
„Da, schau, diese hübsche Lady hier“, erklärte er und zeigte auf eine sehr attraktive Dame auf einem Schwarz-Weiß-Foto. „Aber sag´ nichts der Oma“, ermahnte er mich.
„Was soll ich ihr nicht sagen? Ich denke sie kennt das Foto, das ist nämlich die Oma selbst auf dem Bild.“
Opa lehnte sich zurück und blickte ins Leere, dann fing er an zu erzählen. „Ach, Mädchen, die Gerda war ein heißer Feger. Wir hatten so viele Pläne und dann kam doch alles anders.“ Er räusperte sich und strich mir über das Haar. „Dann bist zu gekommen. Du warst so klein und niedlich, da mussten wir doch alle Pläne ändern.“
„Opa, ich bin erst 16 und deine Enkelin. Ich denke du meinst die Mama, Marion, deine Tochter.“
„Ja, ja.“ Opa war mit einem Mal nicht mehr ansprechbar. Er lehnte seinen Kopf zurück und starrte wie so oft in die Luft. Dabei lächelte er leicht, als wäre er der glücklichste Mensch aller Zeiten. Ich nahm ihm das Album vom Schoß und betrachtete das Foto etwas näher. Oma sah aus wie ein Filmstar. Sie stand vor der Scheune im Hof. Mann, war das lange her. Die ganzen Büsche, die heute drum herum gewachsen waren, gab es damals noch gar nicht. Sie hatte die eine Hand in die Hüfte gestemmt und zeigte mit der anderen auf die Scheune. Dabei blickte sie ganz keck in die Kamera. Was der Großvater wohl für Pläne meinte? Ich hatte noch eine Stunde Zeit, bis der ASB kam und ging zur Scheune, denn ich wollte wissen, worauf Oma Gerda deutete. Ich nahm das Bild heraus und stellte die Szene vor dem Tor der Scheune nach.
Die alte Scheune
„Hm“, überlegte ich laut. Dann ging ich in die Scheune. Sie war vollgestellt mit altem Gerümpel, es gab kaum ein Durchkommen.
Ich machte es mir in den darauffolgenden Tagen zur Aufgabe, die Scheune einmal gründlich aufzuräumen. Das Foto hatte ich bislang verdrängt. Ich sprach mit meinen Eltern darüber, dass sich die Großeltern vielleicht freuen würden, wenn ich die Scheune mal so richtig aufräume und entrümpel. Wer weiß, vielleicht würde ich auf diese Weise mein Taschengeld aufbessern können, wenn Oma sieht, wie fleißig ich war. Das mit dem Taschengeld aufbessern war nicht so gemeint, wie es dann tatsächlich passierte.
Das Entrümpeln war nach nur einer Woche erledigt. Die Scheune sah wieder ordentlich aus und einigermaßen sortiert. Meine Eltern meinten, es wäre nicht gut alles zu entsorgen, sondern nur zu sortieren, man könnte den alten Herrschaften ja schließlich nicht die Vergangenheit nehmen.
Als ich dann Opa vor die Scheune stellte, in der Hoffnung, dass er sich freuen würde, staunte er mich völlig entgeistert an. „Mädchen, bist du denn verrückt geworden?“, empörte er sich.
Gehütete Geheimnisse
„Was soll die Gerda davon halten, sie hat das Geheimnis so lange gehütet und nun machst du alles zunichte.“ „Was meinst du, Opa?“, fragte ich ihn verwundert und war überrascht, wie wach und klar er sprach. „Ja, siehst du denn nicht dort, dort ist es doch versteckt.“ Dann verlor er wieder seinen Blick, drehte sich um und trottete ins Haus. Ich hingegeben ging zurück zur Scheune und blickte an die Stelle, wo Opa hindeutete. Da erinnerte ich mich. Dorthin zeigte auch Oma auf dem Foto. Sie zeigte an die Decke der Scheune. Ich ging nach innen und klopfte die Holzpaneelen ab und tatsächlich, eine der Platten löste sich ganz leicht und ließ sich nach innen drücken. Was dann zum Vorschein kam, war mehr als eine Überraschung. Ich zog einen kompletten Sack mit Geldscheinen gefüllt zutage. „Man, Opa, du bist reich. Ich habe deinen Schatz gefunden!“, dachte ich für einen Moment. Doch dann besann ich mich und überlegte. Das waren alles noch alte DM-Scheine, die könnte ich doch bei der Bank einlösen, mal sehen was die noch in Euro brachten. Opa würde Augen machen und Oma erst. Da hat der alte demenzkranke Herr sich noch erinnern können und ich habe den Schatz gefunden. Da wird sicher auch was für mich abfallen.
Der Schatz
Am nächsten Tag ging ich zur Bank ganz in der Nähe. Das Geld hatte ich natürlich in einen Koffer gepackt. Die Bank kannte mich und auch meine Großeltern. Der Herr Klasens nahm das Geld entgegen und sagte freundlich: „Kein Problem, Frau Molitor. Wir werden die Scheine prüfen und dann tauschen.“ Ich ging wieder. Nur wenige Tage später, ich war wieder bei Opa und versorgte ihn, da klingelte es an der Haustür, zwei Männer standen davor. Als ich öffnete hielt mir einer von ihnen die Polizeimarke vor die Nase und meinte: „Haben Sie das Geld in der Bank neulich abgegeben?“ Ja, warum?“, fragte ich erstaunt. „Nun – wir müssen Sie fragen, woher Sie das Geld haben, denn es stammt laut unserer Recherche aus einem Banküberfall von vor 25 Jahren. Mir stockte der Atem. So ein Pech aber auch!
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