Wie so oft stand die Frage vor mir: „Was schenke ich zum Geburtstag?“ Diesmal war meine alte Freundin und frühere Klassenkameradin Ria dran, am nächsten Samstag wird sie 40. In fast allen Antworten darauf habe ich mich auch dieses Mal wieder für den Lottoschein entschieden. Einen Lottoschein zu verschenken hat mehrere Vorteile, zum einen verschenkt man die freudige Chance auf Glück und zum anderen wird die Partygesellschaft bis zur Ziehung der Zahlen in heller Aufregung sein – denn der Gesprächsstoff über das „was, wäre, wenn“ wird nicht abreißen, somit kehrt auch keine Langeweile ein.
Der Lottoschein
Den ausgefüllten Lottoschein überreichte ich, geschmückt als Passepartout, mit Glücksbringern beklebt und durchsichtiger Folie umkleidetet. „Oh, wie originell, ein Lottoschein!“, posaunte Ria in die Runde und es geschah sofort das, was immer passierte. Alle Gäste redeten nur noch von Geld. Ich selbst betrachtete das Geschehen genüsslich vom Rand aus, denn ich wusste ja, was nun alles folgen würde.
„Sag, Lola“, fragte mich ein Gast, „würde dich das nicht ärgern, wenn Ria nun den Hauptgewinn hätte?“ Noch bevor ich antworten konnte, warf Ria ein: „Wir teilen selbstverständlich, wie man das so unter besten Freundinnen eben macht!“ Fröhlich grinsend erhob sie das Sektglas und prostete mir zu. „Ja, ja“, dachte ich nur so für mich und grinste ihr entgegen, wie damals, da haben wir uns die Männer geteilt. Oder anders gesagt, Ria hatte mir ständig meine Freunde ausgespannt und dann schäbig abserviert. Ria hat eindeutig mal einen Tritt in den Allerwertesten verdient. Ich stelle mir gerade vor, dass sie in der Tat sechs Richtige hätte, dann würde ich groß posaunen –„Haha, aber ich habe den Schein gar nicht bezahlt! Es ist nur eine wertlose Fälschung!“ Das dumme Gesicht von ihr würde ich gerne sehen.
Countdown
Dann war es soweit, die Partygesellschaft starrte gebannt auf den Bildschirm. Ich war ziemlich gelassen, denn bislang hatten es meine verschenkten Lottoscheine nur hin und wieder auf „drei Richtige“ gebracht – das ist locker zu verkraften. Die erste Kugel fiel: „17“, riefen die Gäste im Chor. „Hab ich!“, tönte Ria. Dann folgten die 2 und die 49. „Hab ich auch“, rief Ria, worauf ein Gast lächelnd anmerkte: „Ja, ja in jedem Kästchen eine!“ Ria winkte nur ab und konzentrierte sich auf die nächste Zahl. „23“, klang es wieder im Chor. Ria hielt die Luft an. „13“, Ria wurde bleich im Gesicht. „33“, Ria stöhnte. Als dann noch die Zusatzzahl „25“ aufgerufen wurde, war es um Ria geschehen. „Was ist im Jackpot?“, schrie sie beinahe fassungslos. „Ich glaube 20 Millionen“, sagte einer der Gäste. „Wow, ich hab ihn, ich hab ihn.“ Ria schwenkte den Lottoschein in der Luft herum und schrie: „Ich hab den Jackpot geknackt!“ Alle wollten nun den Lottoschein sehen. Auch ich erhob mich und starrte auf das Unfassbare. Die Sektkorken knallten, der Jubel war kaum auszuhalten. Die Party drehte sich nur noch ums Geldausgeben und Ria stand wie gewohnt im Mittelpunkt. Ich hatte genug von der Party, denn alle schauten mich mitleidig an, selbst Ria schien sich nicht mehr an das Versprechen zu erinnern, dass sie ja eigentlich mit mir teilen wollte. Als ich ging, begleitete mich Ria zur Tür. Bei der Verabschiedung funkelten ihre glasigen Augen und sie grinste mich hämisch an: „Du glaubst doch nicht etwas im Ernst“, zischte sie sichtbar angetrunken, „dass ich auch nur einen Cent mit dir teilen werde.“ Ich nickte nur und sagte: „Schon klar!“
Als sie die Haustür hinter mir schloss, zückte ich ganz elegant einen Zettel aus meiner Hosentasche und flüsterte für mich: „Sicher, meine Liebe, ganz sicher wirst du mit mir teilen müssen.“ Wie immer hatte ich den Tippschein zweimal eingelöst, man kann ja nie wisse.
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Weitere Kurzkrimis von mir:
Nicht jeder Schatz macht reich
Tag X
Einmal Bulle, immer Bulle
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